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Quattro Pezzi


Eines der bedeutendsten Werke von Giacinto Scelsi ist „Quattro Pezzi su una nota sola“ für Kammerorchester mit 26 Musikern. Diese Besetzung war für Scelsis Orchestermusik bis dahin ungewöhnlich. Das Werk wurde kurz nach dessen Fertigstellung aufgeführt, und zwar am 4. Dezember 1961 von Maurice Leroux in Paris. Die Aufführung verlieh dem Komponisten damals ein hohes Maß an Anerkennung und ist als eine Pionierarbeit des 20. Jahrhunderts in die Musikgeschichte eingegangen. Die Quattro Pezzi ist in vier Sätze gegliedert. In jedem Satz erklingt nur eine einzige Note: Die Notenfolge lautet F, B, As, A.
Wie auch in anderen Orchesterwerken Scelsis sind die Instrumente auf die tiefen Register konzentriert und beinhalten auch Schlaginstrumente: Altflöte, Oboe, Englisch Horn, zwei Klarinetten, Fagott, vier Hörner, Saxophon, drei Trompeten, zwei Posaunen, Basstuba, Säge, Kesselpauken, Bongos, Tumba, Becken, hängendes Becken, kleines und großes Tom Tom, zwei Bratschen, zwei Celli, Kontrabass. Die vier Sätze werden von leicht unterschiedlichen Besetzungen gespielt; nur im letzten Satz kommen alle 26 Musiker zum Einsatz. Alle Stücke entwickeln ihre einzelnen Noten durch Tessitura-Variationen (unisoni und doppelte Oktaven), Dynamik und Tonqualität. Hinzu kommen die Einführung mikrotonaler Schwankungen und gelegentliche harmonische Schatten. An verschiedenen Stellen entstehen Klimaxe, die alle vom goldenen Schnitt abgeleitet sind.
Dies ist Scelsis revolutionärste Arbeit, die der reinen Intuition entsprungen ist. Anders als man es nach der Beschreibung des Stückes erwarten könnte und von Werken z.B. von Philip Glass und anderer „Minimalisten“ kennt, gibt es hier keinerlei Monotonie. Die Musik ist völlig unberechenbar: spontane Inventionen ohne formale Grenzen. Der Rhythmus der Quattro Pezzi ist sowohl subtil als auch kraftvoll: Scelsi orientierte sich in seiner Ausführung beispielsweise am Akt des Atmens, der im Yoga so bedeutungsvoll ist und insbesondere im vierten Satz entscheidend wird. Die Musik orientiert sich an Zeitlosem: mal fließt sie, mal hält sie an und blickt gleichsam auf kosmische Bewegungen. Sie bewegt sich jenseits und auch innerhalb ihrer selbst und ruft so eine gesteigerte Empfindung der eigenen Existenz hervor, die aus dem Jenseits kommt. Diese entsteht durch das infra-chromatische Wesen des Stücks, das – wie in allen späteren Werken Scelsis – einen Großteil seiner musikalischen Richtung aus der Vielschichtigkeit schöpft, die jedem einzelnen Klang innewohnt – sowohl bezüglich der Dauer als auch der Tonqualität und Dynamik.
Im kurzen ersten Satz findet man das melodische Material - das in der Tat melodisch ist, dank Schattierungen, Rhythmus und instrumentaler Tonqualität – das mit unglaublicher Macht geradezu explodiert. Eine wirkungsvollere Einleitung dieses Stücks ist kaum vorstellbar. Nach dem hochdramatischen zweiten Satz folgt ein dritter (ohne Schlaginstrumente), der eine himmlische Qualität besitzt, die jenseits der Zeit über dem langsam abschwellenden Klang seiner finalen Momente schwebt. Der vierte Satz ist von extremer Finalität gekennzeichnet, wobei Kadenzen von ausbrechenden Schlaginstrumenten betont werden, die scheinbar sagen wollen: Ich bin Klang.