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Pressestimmen


König Hirschs Ehre

Herkulessaal: Konzert der musica viva zum 80. Geburtstag von Hans Werner Henze

Stets war Hans Werner Henze ein Verfemter im Kreise der Konstrukteure serieller Musik. Dass seine Werke die seiner schärfsten Kritiker beinahe vollständig überlebt haben, mag Ironie des Schicksals sein. Liegt aber wohl auch in der tieferen Verwurzelung des Komponisten in der musikalischen Tradition begründet.
Am 1.Juli wird Hans Werner Henze 80 Jahre alt, die musica viva des Bayerischen Rundfunks erwies ihm im Herkulessaal im Rahmen der Münchner Biennale mit einem Sonderkonzert nun die vorgezogene Ehre. Man mag über den abgezirkelten Ästhetizismus von Henzes Musik die Nase rümpfen, die auskomponierte immerwährende Schönheit seiner melodischen Linien als reaktionär abtun – eines wird man diesem großen Komponisten unserer Zeit nicht unterstellen können: Er habe Musik um der Gefälligkeit willen geschrieben.
Die Lauterkeit spricht aus jedem Takt seiner Werke, und sein Schüler Peter Ruzicka, wohl nicht der begnadetste Dirigent unserer Tage, hat gemeinsam mit den BR-Symphonikern und den Gesangssolisten Michaela Kaune, Mojca Erdmann und Stuart Skelton dies in eindrucksvoller Weise klingend unter Beweis gestellt.
Die frühen Werke „Antifone“, „Nachtstücke“ und „König Hirsch“ waren den späteren Komponisten „Appassionamente“ und „Fraternité“ gegenübergestellt, und Henzes Liebe zur subtilen Klang-Struktur, zum singendem Melos und zur üppigen volltönenden Orchestrierung zog sich wie ein roter Leitfaden durch diesen Abend.
Wenn man von dem emotionsgeladenen, brilliant orchestrierten Opernduett aus „König Hirsch“ einmal absieht, ließ ich Henzes ausgeprägte Handschrift des Changierens mit Klängen, der zarten lyrischen Empfindsamkeit und der luxuriösen Orchesterbehandlung in Anlehnung an Richard Strauss in jedem seiner Werke ausmachen.
Er ist sich ein Leben lang treu geblieben, und die archaische Verwurzelung nimmt seiner Musik jeden Anflug von modischem Chic. Sie wirkt konservativ im seriösen Sinn. Unter diesem Aspekt gebührt Hans Werner Henze zu Recht die Ehre, eine singuläre Erscheinung unter den zeitgenossischen Komponisten zu sein, wenngleich seine Musik eher als in die Abonnementskonzerte als in eine Spezialreihe für neue Musik gehört.

Rüdiger Schwarz, Abendzeitung Wochenendausgabe 13./14. Mai 2006

 

Packende Tonsprache

Münchner Biennale ehrt Hans Werner Henze

München (DK) 2006 ist nicht nur ein Mozart- oder Schumann-Jahr. Auch einer der Altmeister unter den lebenden Komponisten feiert runden Geburtstag: In wenigen Wochen wird Hans Werner Henze 80 Jahre alt. Da ist es dann nur angemessen, dass zwei der wichtigsten Institutionen zeitgenössischer Musik-Aufführungen – die Münchner Biennale für Neues Musiktheater und die BR–Reihe musica viva – Henze mit einem Sonderkonzert im Herkulessaal ehren und hierfür der Biennale-Chef Peter Ruzicka, seinerseits ein Henze-Schüler, persönlich zum Taktstock greift, um am Pult des einmal wieder schier unübertrefflich agierenden BR-Symphonieorchesters einen repräsentativen Einblick in Henzes Musikästhetik zu geben.
Dass Henze 80. Geburtstag in das Mozart-Jahr fällt, scheint mehr als eine Laune der Musikgeschichte zu sein. Denn gleich dem großen Salzburger Meister greift auch Henze „den roten Faden alter Schönheit“ auf, wie Michaela Schmidt und Raphael Rennecke in ihrem klugen Programmheftbeitrag ausführen, „spinnt ihn fort und flicht ihn schließlich ein in ein originäres Klanggewebe, in dem Vergangenheit und Gegenwart aufgehen in neuem Licht“.
Wunderschönes Liebesduett
Henze begreift die Innovation aus der Tradition, was ihn in den Augen selbsternannter „Avantgardisten“ schon zu Adornos Zeiten verdächtig machte. „Aber, mein Lieber, wir schreiben doch heute keine Arien mehr“, musste er sich allen Ernstes 1956 von Hermann Scherchen, dem Dirigenten der Uraufführung seines „König Hirsch“ sagen lassen, der so massiv mit dem Rotstift in der Partitur wütete, dass erst jetzt, 50 Jahre später, das wunderschöne Liebesduett zwischen dem König und dem Mädchen aus dem ersten Akt zur späten Uraufführung gelangen konnte, von Mojca Erdmann und Stuart Skeleton hingebungsvoll gesungen.
„Es ist notwendig, dass der Sprachcharakter der Musik erkannt, verstanden und definiert wird“, konstatierte Henze in seinem Exkurs über den Populismus von 1986, einer Zeit also, als das Verhältnis von Musik und Sprache von vielen Opernkomponisten in Frage gestellt worden ist; eine Tendenz, die noch 20 Jahre später nicht überwunden scheint: Wie häufig begegnen dem Zuschauer bei einer Opernaufführung abstrakte Theaterstücke mit einem bewussten Verzicht auf stringente Handlungen, mit einer Sprache, die das Übermitteln von Inhalten vermeidet und einer Musik, die an einer Emotionalisierung des Wortes, einer „Erhöhung“ (worauf Henze schon 1959 in seiner Studie über „Die geistige Rede der Musik“ zu sprechen kam) nicht interessiert sein kann.
Tief bewegendes Erlebnis
Ganz anders dagegen Henze im „König Hirsch“ von 1956, aber auch in den beiden Arien nach Ingeborg Bachmann, deren Schlussvers „Von der alten Schönheit jungen Gnaden“ für Henzes Schaffen das Motto geworden zu sein scheint. Mit Michaela Kaune wurde das Wiederhören der beiden Arien zum tief bewegenden, nachhaltig wirkenden Erlebnis.
Auch die erklungenen Orchesterwerke Henzes wiesen eine hoch emotionale, den Hörer unmittelbar packende Tonsprache auf, gingen exzellent mit den schier unerschöpflichen Möglichkeiten des Orchesterapparats um, stützen ihre künstlerisch-kreativen Kräfte auf das Fundament solider handwerklicher Kompetenz und stellen schließlich ihr innovatives Konzept in einen sinnfälligen musikgeschichtlichen Traditionszusammenhang. Auch hier kam die ganze Kraft und Leidenschaft von Henzes Musik zur Geltung, und es wurde deutlich, dass er zu den wirklich ganz Großen der zeitgenössischen Komponisten gehört.

Jörg Riedlbauer, Metropol, Donaukurier/ Ingoldstadt vom 15.5.2006

 

Herzenssache

Münchner Biennale: Ruzicka dirigierte Henze

„Zuerst das Herz“ singen König Hirsch und seine Geliebte. Und die Phrase, mit der das Hans Werner Henze vertont, scheint nicht nur Illustration, sondern ein klein bisschen auch Bekenntnis. Wenig scherte er sich seinerzeit um die Darmstädter Dogmatik der Kollegen. Die Zeit gab ihm Recht. Und die ungebrochene Verführungskunst seiner Werke sowieso, wie im Herkulessaal wieder zu erleben war.
Peter Ruzicka höchstselbst, Henzes Nachfolger als Chef der Münchner Biennale, dirigierte zum 80. Geburtstag des Komponisten-Doyens (1.Juli) ein Festkonzert. Und man staunte ein wenig über Ruzicka, den sonst so Zurückhaltenden, wie er sich mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks in die Stücke hineinsteigerte. Wie er, trotz straffer Tempi und genauer Zeichnung der Strukturen, die Aufführung zur Herzensangelegenheit werden ließ. Etwa in der eruptiven Süffigkeit von „Appassionatamente“ oder in der gravitätischen Wucht von „Fraternité“.
Verdeutlicht wurden auch die kantablen Klagegesten, die Henze filigrane „Antifone“ kennzeichnen. Denn bei all der Großzügigkeit der Mittel durchweht diese Werke eine eigentümliche Melancholie, ein Sehnen nach dem, was womöglich längst passé ist. Gerade deshalb ergänzt auch Henzes Ästhetik die seiner früheren Gefährtin Ingeborg Bachmann. Sopranistin Michaela Kaune sang die „Nachtstücke und Arien“ als eine Fortsetzung von Strauss´ „Vier letzten Liedern“ – mit kontrollierter Emphase, Lyrik und Expression in kluger Balance haltend. Eindrucksvoller noch das Duett aus „König Hirsch“, auch wenn der unerschrocken zupackende Stuart Skelton (Tenor) und Mojca Erdmann (mit makellos kristallinem Sopran) zuweilen vom Orchester überdeckt wurden. Als Epilog dazu erhielt Ruzicka im kleinen Kreis von der Akademie der Schönen Künste den Preis „Neues Hören“. Die erstmals vergebene Auszeichnung ist mit 10´000 Euro dotiert und belohnt die Vermittlung zeitgenössischer Musik.
Henze selbst konnte aus Gesundheitsgründen nicht nach München kommen, Ovationen wären ihm sicher gewesen. Aber das kann ja beim Opernfestspiel-Konzert am 6.Juli nachgeholt werden.

Markus Thiel, Münchner Merkur, Samstag/Sonntag, 13./14. Mai 2006

 

Im Süden des Herzens

Die Musica viva feiert bei der Biennale Hans Werner Henze

Schönheitstrunken. Immer wieder kommt einem an diesem Abend im Herkulessaal dieses Wort in den Sinn. Ein Wort aus einer fernen Vergangenheit, aus hundert Jahren weht es herüber. Und es erhält einen Sinn nicht nur in der Unmittelbarkeit dieses Musica viva-Konzerts, das sich die Biennale unter den Nägeln gerissen hat (oder umgekehrt; ist ja egal). Peter Ruzicka dirigiert das Symphonieorchester des BR, dirigiert nur Henze Hans Werner. Ruzicka als Erbe Henzes Biennale-Leiter seit zehn Jahren, träumt von einer zweiten Moderne, deshalb lässt er neue Möglichkeiten des Musiktheaters erforschen. Und so wie sich einst aus einem schönheitstrunkenen Jahrhundertanfang die Wiener Schule herausschälte, so könnte Henzes Musik im Sinne Ruzickas den Weg zu einer neuen Moderne bereiten. Schönheitstrunken zu neuen Ufern.
Der Gedanke geht natürlich nicht ganz auf. Die Werke, die Peter Ruzicka an diesem Abend dirigiert, entstammen einem Zeitraum von mehr als 40 Jahren. Abgesehen vom wild schäumenden „Appassionatamente“ schimmern sie alle in einem immerscheinenden Licht des Südens. Es keine Sünde im Süden des Herzens, sagt Werner Fritsch. An diesem Abend wirkt es so, als denke sich das Henze auch, auch wenn jedes Melos zuverlässig ein harsches Gegenüber findet, das unter Ruzickas Stabführung allerdings mehr rhetorische Behauptung als emotionale Dringlichkeit besitzt. Am deutlichsten wird das beim Duett „Was können wir tun“ aus der Oper „König Hirsch“. Als nachgereichte Uraufführung (bei den bisherigen Aufführungen der Oper fiel ihre eigentliche Keimzelle zuverlässig dem Rotstift zum Opfer) ist es das eigentliche Ziel des Abends – und offenbart in statuarischer Homophonie die Kühle von Ruzickas Analysentum ebenso wie in reizenden Trillerchen und mit viel Evohé den milden Fortschrittsgeist Henzes. Da mühen sich die Solisten Mojca Erdmann und Stuart Skelton um einiges vergeblicher als zuvor Michaela Kaune. Mit ihr erfüllt sich in den „Nachtstücken und Arien nach Gedichten von Ingeborg Bachmann“ die Fragilität eines Traums von Schönheit, den zu träumen die solitare Leistung Hans Werner Henzes ist.
Mit dieser Sehnsucht wurde Henze letztlich zu einem Vermittler zeitgenössischer Musik. Den Preis „Neues Hören“ in genau dieser Hinsicht, nach dem Konzert verliehen in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, erhält nach dem Konzert Peter Ruzicka. Als „Brückenbauer“ gewürdigt, ist der Preis ein Auftrag für ihn.

Egbert Tholl, Süddeutsche Zeitung, Mediathek Samstag/Sonntag, 13./14. Mai 2006

 

Substanz und Sinnlichkeit

Konzertabend für Hans Werner Henze

Es braucht immer viel Tagesgeschäft zu dem Wenigen, das bleibt. Auf der bisher weniger prickelnden Biennale zeigte das „musica viva“ -Sonderkonzert zu ehren des demnächst 80 werdenden Hans Werner Henze einmal mehr: Henze wird bleiben. Ohne sich einem billig an den Hals zu schmeißen, gibt seine Musik von ihrer großen Substanz doch genug ohne Begleittexte erfahrbar preis, dass man Lust aufs Wiederhören, Ausloten der verborgenen Tiefen bekommt.
Dass „Antifone“ nicht zum Repertoire des BR-Symphonieorchesters gehört, sürte man im Herkulessaal deutlich. Doch bei den übrigen, tonaler und großflächiger angelegten Werken fruchtete das Engagement viel mehr. Peter Ruzicka ist kein großer Pult-Charismatiker, aber ließ hören, wie viel schon gewonnen ist, wenn ein deutlicher Dirigenten-Schlag den inneren, fließenden Puls der Musik findet.
Es sagt viel über den einstigen Dogmatismus der Neutöner, dass das zentrale Duett „Was können wir tun?“ stets als nicht ‘modern’ genug aus „König Hirsch“ gestrichen wurde. Es sagt viel über die Qualitäten Henzes als Musikdramatiker, wie sehr diese konzertante, isolierte Uraufführung (Solisten: Mojca Erdmann, Stuart Skelton) das Fehlen des Gesamtzusammenhangs spüren ließ.
Höhepunkt: Die „Nachtstücke und Arien“ nach Ingeborg-Bachmann-Gedichten (Solistin: Michaela Kaune). Exemplarisch, wie hier das Erbe der Romantik und die skeptische, apokalyptische Nachkriegs-Intellektuellen-Weltsicht sinnlich, packend, bewegend zusammenfinden.

Thomas Willmann, tz, Wochenendausgabe vom 13./14. Mai 2006

Preis für Ruzicka

Der Komponist, Dirigent und Musikbiennale-Leiter Peter Ruzicka erhält den erstmalig von der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vergebenen Preis „Neues Hören“.
Die mit 10´000 Euro dotierte Auszeichnung wird für die gelungene Vermittlung zeitgenössischer Musik verliehen. Der Preis soll künftig alle zwei Jahre im Rahmen der Münchner Biennale vergeben werden.

tz, Wochenendausgabe vom 13./14. Mai 2006