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Pressestimmen


Herzblut für Neue Musik

K.A. Hartmann: Der Münchner Komponist rückt ins Blickfeld

Wenige berühmte Münchner Komponisten des 20. Jahrhunderts sind so lange nach ihrem Tod im Bewusstsein aller Freunde der Gegenwartsmusik lebendig geblieben – obwohl sie als Komponisten kaum zur Sprache kamen – wie Karl Amadeus Hartmann. Selbst für diejenigen, der Hartmann als Gründer und fantasievoller Programmgestalter der Musica viva des Bayerischen Rundfunks nicht mehr kennen konnte – Hartmann starb am 5. Dezember 1963 -, schien er permanent Engagement fürs zeitgenössische einzuklagen.
Dafür hatte mit viel Begeisterung für die neue Musik Hartmanns Witwe Elisabeth gesorgt. Bis zu ihrem Tod im August 2003 lud sie regelmäßig Komponisten und Musica-viva-Besucher aus ganz Europa in die Franz-Joseph-Straße. In Hartmanns Arbeitszimmer wurde heiß und heftig diskutiert, hier wurden Freundschaften geschlossen, manche zerbrachen.
Hans Werner Henze zum Beispiel gehörte zur Karl Amadeus Hartmanns Schützlingen. Für ihn und auch für Frau Elisabeth brachte Henze dann bei der ersten Münchner Biennale 1988 Hartmanns fünf kleine Opern als späte Uraufführung heraus.
Damit und auch dank einer jüngeren Dirigenten-Generation begann eine kleine Hartmann-Renaissance. Diese schuf die Voraussetzung, um nun zum 100. Geburtstag des Komponisten am 2. August 2005 ein attraktives Hartmann-Jahr proklamieren zu können. Freistaat, Stadt, die Musica viva, die Bayerische Staatsoper und die Münchner Orchester haben sich zusammengetan, um Hartmanns Oeuvre zurück ins Konzert-Repertoire zu holen.
Die Bayerische Staatsoper eröffnet die Opernfestspiele 2005 mit Hartmanns „Simplicius Simplicissimus“, einem Gesamtgastspiel der Stuttgarter Oper im Prinzregententheater (27. Juni). Was, wann und wo von Hartmann zu hören ist, hat Franzpeter Messmer in einem Katalog zusammengestellt (C. Hartmann 4.95 Euro); Aktualisierungen im Internet www.karlamadeushartmann.com.
Wichtigster Beitrag zum Hartmann-Jahr ist jedoch vorerst der Aufsatz-Band des Münchner Autors Ulrich Dibelius „Karl Amadeus Hartmann – Komponist im Widerstreit“ (Bärenreiter, 347 S., 29.95 Euro). Er beschwört die Vitalität des Menschen und die Sensibilität der Werke Hartmanns, begründet die Notwendigkeit eines musikalischen Gedenkjahres für ihn.

Marianne Reißinger, Abendzeitung München vom 26. Oktober 2004

 

Die Kraft der Kontinuität

Ingo Metzmacher im Münchner Musica-viva-Konzert mit Werken von Hartmann und Oehring

Vielleicht hat man sich allzu sehr daran gewöhnt, den Münchner Komponisten Karl Amadeus Hartmann (1905-1963) als Gutmenschen zu sehen, als Förderer komponierenden Jugend, als inneren Emigranten der Nazizeit, als humanistischen Mahner in inhumanen Zeiten. So wurde Hartmann allzu bequem ins Moralische überhoben, und die Nachwelt musste sich so gut wie nie ernsthaft mit seinen kompositorischen Qualitäten auseinandersetzen. Denn, diese These sei gewagt, wenn Hartmann nicht gleich nach dem Zweiten Weltkrieg die Münchner „musica viva“ gegründet hätte, jene nach wie vor gegen die Verödung dieser Stadt in Sachen neuer Musik an-konzertierende Veranstaltungsreihe, dann wäre Hartmann schon früh dem Verdikt der Avantgardisten zum Opfer gefallen. Denn trotz seiner großen Sympathien beispielsweise für Luigi Nono, trotz eines kurzen und späten Studiums bei Anton Webern – ein Revolutionär war Hartmann nie. Aber was zählt die Revolution schon in der Musik?
Jetzt besinnt sich zum 100. Geburtstag ihres Gründers die „musica viva“ explizit auf den Komponisten, stellt dessen Qualitäten heraus: Ingo Metzmacher, der schon vor Jahren sämtliche Hartmann-Sinfonien auf CD herausgebracht hat, spielt mit den Sinfonikern des Bayerischen Rundfunk die achte und letzte Sinfonie: einen Zweiteiler, der auf die uralte Folge von langsamem Vorspiel und furiosem Nachtanz zurückgreift. Verschreckend ist hier nichts. Hartmann beherrscht die versöhnende klage genau so wie jene Vitalität, die sich der Verzweiflung, dem Dunklen, dem Bohrenden stets zu entwinden weiß, ohne es allerdings zu verleugnen. Die Tradition wird hier mit einem staunenswerten Bewusstsein fortgeschrieben. Denn während viele der nach dem Weltkrieg jungen Komponisten die Nazizeit als furchtbare Zensur begriffen, nach der sie nicht wie bisher weiterkomponieren konnten, setzt Hartmann geradezu unbeeindruckt auf Kontinuität. Musik als kommunikativer Akt, als unmittelbar verstehbare Mitteilung persönlicher Klangwelten: das ist Hartmanns Ansatz, der in diesen Zeiten des Hinwegdämmerns einer hyperelitären Avantgarde umso interessanter ist.

 

Stupendes Handwerk

Denn Hartmann erkauft sich die Verständlichkeit nicht wie viele seiner heute um die Publikumsgunst buhlenden Komponistenkollegen durch banale Schlichtheit oder Scherzartikelseligkeit. Hartmann setzt auf stupendes Handwerk, auf brillante Logik, auf bezwingende Klarheit. In dieser Anfang der 60er Jahre entstandenen Achten gibt es keinen Moment, vor dem man rätselnd verzweifeln müsste. Auf der anderen Seite ist dieses Stück eine recht München-typische Musik. Sie ist vital, fordert den vollen, dunklen Klang, und entfacht eine Spiellust, die ohne Zweifel Hartmanns Komponierlust entspricht – was Sinfoniker und Metzmann zu einer gegenseitig sich aufschaukelnden Interpretation veranlasste.
Vorgeschaltet wurden der Sinfonie Hans Werner Henzes Adaption von Hartmanns berühmter Klaviersonate „27. April 1945“, einem Reflex auf die Todesmärsche von KZ-Insassen. Die Paraphrase vergrößert aber die Distanz zwischen dem grausigen Anlass und dem Kunstwerk, die im Original noch am ehesten im zentralen langsamen Trauermarsch ausgeglichen scheint.
Als Uraufführung bot Helmut Oehring , Jahrgang 1961, noch „Verlorenwasser“, eine puccineske Paradiesfantasie zu Verschwinden und Wiederkehr, zu Hör- und Unhörbarkeit, zu Kontinuität übers Verschweigen hin. Oehrings Eltern sind gehörlos, und so setzt er die Gebärdensprache (die er seine Muttersprache nennt) gern in seinen Stücken ein – auch hier. Doch zusammen mit den von einer arg unterforderten Salome Kammer vorgetragen, schlichten Gesangsweisen, einer Tiefsinn eher behaupteten als realisierten Klangsprache wirkte der Einsatz des Gebärdenchors nur als schwache Betroffenheitsgeste. Oerings Methode ist hier endgültig zum Speelen verkommen, aber ein bisschen mehr handwerkliche Souveränität (Hartmann!) könnte ihm unschwer über diese Untiefe hinweghelfen.

Reinhold J. Brembeck, Süddeutsche Zeitung vom 4. Oktober 2005